2 Disease Management Programme

Disease Management Programme sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen, die sich auf die Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin stützen.

Die DMP verfolgen folgende Ziele:

  • Folgeerkrankungen sollen durch eine gut abgestimmte, kontinuierliche Betreuung und Behandlung vermieden werden.
  • Haus- und Fachärzte sowie Krankenhäuser sollen koordiniert zusammenarbeiten.
  • Die Therapieschritte sollen nach wissenschaftlich gesichertem medizinischen Wissensstand aufeinander abgestimmt werden. Dadurch soll eine Über-, Unter- und Fehlversorgung vermieden und mittelfristig die Leistungsausgaben der Krankenkasse gesenkt werden.
  • Der Patient soll durch Aufklärung und Schulung zu seiner Gesunderhaltung selber beitragen.

Im Folgenden wird die Entwicklung der Versorgung chronisch kranker Patienten in Bayern, das Patientenkollektiv, der bayernspezifische Teil des Datenflusses und die in Bayern betriebene Qualitätssicherung der Daten beschrieben.

Ausführlichere Informationen zu den überregional gültigen gesetzlichen und administrativen Grundlagen befinden sich unter anderem auf den Webseiten des Bundesversicherungsamtes (http://www.bva.de) oder des Gemeinsamen Bundesausschusses (https://www.g-ba.de/). Sie sind nicht Gegenstand des Berichts.

2.1 Die Entwicklung der Versorgung chronisch kranker Patienten in Bayern

Chronische Krankheiten wie Diabetes mellitus, Koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale und COPD sowie Brustkrebs verursachen hohe Kosten im Gesundheitswesen. Die Zahl der Erkrankten steigt stetig an. Dies ist unter anderem auf die demografische Entwicklung, die Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes und die Verbesserung der Überlebensaussichten zurückzuführen [1].

Dies trifft vor allem auf die hoch entwickelten Industrienationen zu, wobei Bewegungsmangel, Übergewicht und ungesunde Lebensweise maßgebliche Einflussfaktoren für das Entstehen der meisten chronischen Krankheiten sind. Das Heimtückische an chronischen Erkrankungen ist, dass sie oft jahrelang ohne größere Beschwerden zu verursachen fortschreiten und bei Diagnosestellung häufig schon Organe massiv geschädigt sind. Dialysepflichtige Niereninsuffizienz, starker Sehverlust bis hin zur Blindheit, Fußamputationen und Koronare Herzerkrankung bis hin zum Herzinfarkt sind zum Beispiel häufige Folgeerscheinungen bei Diabetes mellitus und verkürzen die Lebenserwartung und -qualität der betroffenen Patienten.

Bereits in den 1990er-Jahren wurden in Bayern Vereinbarungen zur Betreuung von Diabetes-Patienten mit außerbudgetären Zusatzvergütungen abgeschlossen. Im Bereich Asthma wurden Schulungen außerhalb des EBM-Katalogs vergütet, um die Versorgung chronisch Kranker zu verbessern. Eine Flächendeckung war nicht immer gegeben. Außerdem fehlten strukturierte, valide Dokumentationen und die Evaluation. Eine Qualitätssicherung und die zielgerichtete Steuerung der Versorgung chronisch kranker Patienten war deshalb häufig nicht umsetzbar.

Der Gesetzgeber hat sich 2001 dazu entschlossen, durch DMP eine zentrale ärztliche Koordinierung der Behandlung der chronisch kranken Patienten zu erreichen. Kernpunkte sind die aktive Mitarbeit des Patienten und die regelmäßigen Kontrollen durch einen sogenannten Koordinationsarzt, der Diagnostik wie Behandlung sinnvoll für die Patienten koordiniert, die Ergebnisse der verschiedenen Fachdisziplinen zusammenführt und dadurch eine gewisse Richtschnur vorgibt. Die Krankenkassen informieren dabei die Patienten und unterstützen sie auf dem Behandlungspfad.

Durch das “Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung” wurde mit Wirkung zum 01.01.2002 die Grundlage für die DMP in Deutschland geschaffen. Der damalige Koordinierungsausschuss (heute Gemeinsamer Bundesausschuss; G-BA) hatte hierzu die formalen Anforderungen an die strukturierten Behandlungsprogramme festgelegt. Auslöser für die Entwicklung der bundesweiten DMP war das “Gutachten des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen” aus dem Jahr 2000/2001. Die Experten hatten eine erhebliche Unter-, Fehl- und Überversorgung der Bevölkerung erkannt [2].

Zunächst wurden ab 01.07.2002 DMP für die Diagnosen Diabetes mellitus Typ 2 und Brustkrebs bestimmt und die Anforderung für die Zulassung sowie die Durchführung dieser DMP festgelegt. Die Auswahl der geeigneten Krankheitsbilder und die Anforderung an die Durchführung und Evaluation der DMP wurden verbindlich und einheitlich geregelt. Mittlerweile sind für folgende Krankheitsbilder strukturierte Behandlungsprogramme eingeführt und werden in Bayern auch umfassend umgesetzt:

  • Diabetes mellitus Typ 2
  • Brustkrebs
  • Koronare Herzkrankheit (KHK)
  • Diabetes mellitus Typ 1
  • Asthma bronchiale
  • Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

In der Anfangsphase der DMP wurde die Teilnahme der Patienten am DMP an den Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Krankenkassen gekoppelt. Krankenkassen mit einem hohen Anteil an besonders kostenintensiven, chronisch kranken Patienten sollten gegenüber Krankenkassen mit einem geringen Anteil nicht benachteiligt sein. Die Regelung hatte starke Auswirkungen auf die flächendeckende Verbreitung der DMP: Obwohl nahezu ein Nullsummenspiel, führte diese Kopplung dazu, dass sowohl Krankenkassen, die von der Regelung profitierten, als auch Krankenkassen, die den Ausgleich zahlen mussten, die DMP förderten. Erstere strebten einen möglichst umfassenden Ausgleich an, letztere konnten durch eine möglichst hohe DMP-Teilnahmequote zumindest die Höhe der Ausgleichszahlungen reduzieren.

Als der Gesundheitsfonds in Verbindung mit dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich eingeführt wurde, stand auch zum 01.01.2009 gleichzeitig ein differenzierterer, an der Morbidität orientierter Algorithmus für die Berechnung des Risikostrukturausgleiches zwischen den Krankenkassen zur Verfügung, so dass der ursprüngliche Ausgleich von den DMP entkoppelt werden konnte. Stattdessen wurde eine durchschnittlich kostendeckende Programmkostenpauschale eingeführt. Trotz der Entkoppelung vom Risikostrukturausgleich werden die DMP von allen Beteiligten weitergeführt. Nachdem in Bayern alle DMP flächendeckend eingeführt und alle Prozesse etabliert waren, richtete sich das Interesse immer mehr darauf, wie unter Nutzung der Dokumentationsdaten die Versorgungsqualität chronisch Kranker verbessert werden kann.

Unabhängig von der finanzpolitischen Interessenslage der Beteiligten sind die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Teilnahme eines Versicherten an einem DMP schon immer durch Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB), die über die Behandlung des Arztes hinausgehen, klar definiert, nämlich:

  • die nötige, umfassende Information des Versicherten (durch die Krankenkasse)
  • die schriftliche und freiwillige Einwilligung zur Teilnahme
  • die Einverständniserklärung für die DMP-spezifische Datenerhebung sowie für die Verarbeitung, Nutzung und Weiterleitung dieser Daten

In den gesetzlichen Vorschriften zu DMP ist die Verpflichtung zur Behandlung der DMP-Patienten nach evidenzbasierten Methoden verankert [3]. Evidenzbasiert ist eine Methode dann, wenn deren Wirkung in einer den wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Studie nachgewiesen wurde. Die Behandlung muss nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft unter Berücksichtigung evidenzbasierter Leitlinien stattfinden. Falls keine solche Leitlinien vorhanden sind (weil zum Beispiel die entsprechenden medizinischen Studien noch nicht abgeschlossen sind), kann die Behandlung nach der besten verfügbaren Evidenz vereinbart werden.

In den Bestimmungen sind die Therapieziele und therapeutischen Maßnahmen der einzelnen Programme aufgeführt. Sie sind nicht als Vorschriften, sondern als Handlungsempfehlung zu verstehen. Diese müssen bei der Umsetzung der einzelnen Programme berücksichtigt werden. Auf Basis der deutschlandweit standardisierten Dokumentationsdaten werden die Qualitätsziele und die versicherten- und arztbezogenen Qualitätssicherungsmaßnahmen der DMP bestimmt.

Für die Akkreditierung eines DMP ist es deshalb wichtig, die Qualitätsziele des Programms entsprechend zu definieren und geeignete Maßnahmen zur Zielerreichung festzulegen. Für die vertragsschließenden DMP-Parteien (in der Regel die Krankenkassen bzw. deren Verbände und die Kassenärztlichen Vereinigungen) heißt das konkret, dass die vereinbarten Qualitätsziele, die den regionalen DMP-Verträgen als Anlagen beiliegen, die Therapieziele der DMP-Anforderungsrichtlinie enthalten müssen. Sie müssen eindeutig und zweifelsfrei formuliert werden und dürfen der DMP-Anforderungsrichtlinie nicht widersprechen.

Die Zielerreichung muss in jedem Einzelfall dokumentiert werden, um die Versorgung des Patienten steuern zu können und durch die Auswertung der Einzelfälle Erkenntnisse über die Entwicklung des Gesamtprogramms zu erhalten. Qualitätsziele werden für folgende Bereiche vorgegeben:

  • Behandlung nach evidenzbasierten Methoden (einschließlich Arzneimitteltherapie)
  • Kooperationsregeln (koordinierender Arzt, Krankenhaus usw.)
  • Dokumentationsqualität (Vollständigkeit, Plausibilität, Verfügbarkeit) und
  • aktive Teilnahme der Versicherten (zum Beispiel Wahrnehmung von empfohlenen Schulungen)

Die Krankenkassen müssen ihre durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen im versichertenbezogenen Qualitätssicherungsbericht darlegen und diesen Bericht regelmäßig veröffentlichen. Auch die Feedbackberichte als Hauptbestandteil der ärztlichen Qualitätssicherung sind regelmäßig öffentlich darzulegen.

Schulungen für Versicherte sind in der Systematik der DMP eine Grundvoraussetzung, um den eigenverantwortlichen und aktiven Umgang mit einer Erkrankung zu ermöglichen. Auf dieser Basis sind individuelle Zielvereinbarungen zwischen Arzt und Patient festzulegen. Auch die Schulungsinhalte müssen evidenzbasiert sein und können nicht frei gewählt werden. Eine Ausnahme bildet das DMP Brustkrebs. Aufgrund der besonderen Situation der an Brustkrebs erkrankten Patientinnen sind Schulungsmaßnahmen nicht automatisch und in jedem Fall empfehlenswert.

Auch die Leistungsanbieter sind zu schulen. Hier gilt es hauptsächlich, die Managementkomponenten der DMP zu verdeutlichen (zum Beispiel Überweisungsregeln) sowie auch die Dokumentationsbögen und die dahinter liegenden Plausibilitätsregeln zu erläutern.

Um der Idee der sektorübergreifenden Versorgung Rechnung zu tragen, werden DMP nur zugelassen, wenn eine flächendeckende Teilnahme von Ärzten und stationären Einrichtungen, die alle die vorgeschriebenen Strukturvoraussetzungen erfüllen müssen, gewährleistet ist.

Nicht nur die Zulassungsvoraussetzungen werden durch die Aufsichtsbehörden geprüft; es finden auch Prüfungen der Umsetzung der DMP bei den Krankenkassen durch die zuständigen Aufsichtsbehörden statt. Die ist ein weiterer Garant für die hohe Qualität der Versorgung.

Literatur

1 Scheidt-Nave C. Chronische Erkrankungen - Epidemiologische Entwicklung und die Bedeutung für die Öffentliche Gesundheit. Public Health Forum 2010; 18: 2.e1–2.e4 http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0944558709001176

2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Gutachten 2000/2001. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band III: Über- , Unter- und Fehlversorgung. 1. Aufl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen; Nomos Verlagsgesellschaft, 2002 http://www.svr-gesundheit.de/Gutachten/Gutacht01/Kurzf-de.pdf

3 Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme. Gemeinsamer Bundesausschuss http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/dmp/