9 Entwicklung der Amputationsrate in Bayern

Im Abschnitt 8.2 wurde die Prozessqualität zur frühzeitigen Erkennung und Behandlungssteuerung des diabetischen Fußsyndroms analysiert. Diese Qualitätsziele dienen der Vermeidung der Amputation, ein Ereignis, welches im DMP zwar erhoben aber im Rahmen der ärztlichen Qualitätssicherung nicht systematisch untersucht wird. Im Folgenden wird daher die Häufigkeit und die zeitliche Entwicklung von diabetisch bedingten Amputationen in Bayern untersucht.

9.1 Hintergrund und Fragestellung

Die Amputation der unteren Extremitäten gilt als eine seltene aber schwerwiegende Folge des Diabetes mellitus. Schätzungsweise sind bis zu 80 % aller Amputationen durch eine frühzeitige Identifikation und spezialisierte Behandlung vermeidbar [33]. Im internationalen Vergleich weist Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Rate an diabetesbedingten Fußamputationen auf [34]. Die Reduktion der Amputationshäufigkeit gilt somit als ein wichtiges Ziel der Diabetesversorgung: Bereits im Jahr 1989 hat die international verabschiedete St. Vincent Deklaration eine “Senkung der Zahl von Amputationen aufgrund diabetesbedingter Gangrän um mindestens die Hälfte” innerhalb von fünf Jahren zum Ziel gemacht [35]. Dieses Ziel wurde deutlich verfehlt: Erst im Jahr 2007 konnte eine Verbesserung der Amputationsrate festgestellt werden und noch heute gilt die Entwicklung als unbefriedigend [36,37].

Daten aus den DMP in Nordrhein [24] und Bayern (siehe unten) legen nahe, dass die Amputationsrate im Rahmen der DMP rückgängig ist. Die Datenqualität ist jedoch unsicher und Selektionseffekte sind nicht auszuschließen. Um diese Daten zu validieren und weitere Erkenntnisse über die Amputationshäufigkeit in Bayern zu gewinnen, hat sich die Gemeinsame Einrichtung DMP Bayern entschieden, die auf Kreisebene aggregierten Daten des statistischen Bundesamtes heranzuziehen. Im Folgenden werden zunächst die DMP-Dokumentationsdaten und anschließend die stationären Daten verwendet, um insbesondere die folgenden Fragen zu beantworten:

  1. Wie hat sich die Amputationsrate innerhalb der letzten 10 Jahre entwickelt?
  2. Sind regionale Unterschiede zu beobachten, sowohl hinsichtlich der Amputationsrate als auch der zeitlichen Entwicklung?
  3. Welche Faktoren sind mit einem erhöhten Risiko für Amputation verbunden?

9.2 Methoden

Die Analyse basiert auf zwei unterschiedlichen Datenquellen. Einerseits werden die DMP-Dokumentationsdaten der Gemeinsamen Einrichtung DMP Bayern ausgewertet, da diese eine unmittelbare Aussage über die am DMP teilnehmenden Patienten ermöglichen. Andererseits wird als unabhängige Datenquelle die Krankenhausstatistik des statistischen Bundesamtes herangezogen. Es folgt eine Beschreibung dieser Datenquellen.

9.2.1 DMP-Dokumentationsdaten

Im Rahmen der DMP dokumentiert der koordinierende Arzt, ob seit der letzten Dokumentation eine Amputation durchgeführt wurde. Die Amputationshäufigkeit wird ins Verhältnis zu allen im Jahr dokumentierten DMP-Patienten gesetzt. Weitere Dokumentationsangaben ermöglichen die Stratifizierung nach Altersgruppe, Geschlecht und weiteren Risikofaktoren. Aufgrund der geringen Fallzahlen im DMP Diabetes mellitus Typ 1 wird in dieser Analyse nur das DMP Diabetes mellitus Typ 2 berücksichtigt.

9.2.2 Krankenhausstatistik

9.2.2.1 Amputationshäufigkeit

Vom statistischen Bundesamt wurde die Amputationshäufigkeit je bayerischem Kreis bzw. je kreisfreier Stadt in den Jahren 2004 bis 2015 bereitgestellt. Dabei wird zwischen einer Minoramputation (d. h. Amputation unterhalb der Knöchelregion) und einer Majoramputation (d. h. bis zu einer Amputation des gesamten Beines) unterschieden. Abrechnungstechnisch werden diese anhand der OPS-Ziffer 5-864 (Majoramputation) und 5-865 (Minoramputation) erfasst. Die Amputationshäufigkeit wurde sowohl für alle Patienten in Bayern als auch für das Kollektiv aller Patienten mit der Erst- oder Begleitdiagnose Diabetes mellitus ermittelt. Gezählt wird die Anzahl der Patienten mit einer oder mehreren solcher Prozeduren in einem Kalenderjahr.

Der Ausgangsdatensatz umfasst so alle aus dem Krankenhaus entlassene vollstationäre Patienten (einschließlich Sterbe- und Stundenfälle) nach dem Wohnort der Patienten auf Kreisebene für Bayern nach dem Amtlichen Gemeindeschlüssel (AGS), jeweils für die OPS-Codes 5-864, 5-865 und ohne Duplikate für die Codes 5-864 oder 5-865, sowohl unter Berücksichtigung aller Patienten als auch für Patienten mit der Diagnose Diabetes.

9.2.2.2 Grundgesamtheit

Um eine Aussage über die Entwicklung der Versorgung treffen zu können, muss die Amputationshäufigkeit in Relation zu einer passenden Grundgesamtheit gesetzt werden. Da die Krankenhausstatistik keine Einschränkung auf GKV-Patienten beinhaltet, wird zu diesem Zweck die Einwohnerstatstik des bayerischen Landesamtes für Statistik herangezogen.

Die Amputationshäufigkeit unter Patienten mit Diabetes soll vorzugsweise mit der Anzahl der Einwohner mit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 verglichen werden. Da diese Zahl auf kleinräumiger Ebene nicht vorliegt, muss für jeden bayerischen Kreis und für die Jahre 2004 bis 2015 die Anzahl der Diabetespatienten geschätzt werden. Diese Schätzung erfolgt in einem mehrstufigen Modell:

  1. Die Anzahl der GKV-Patienten mit Diabetes je Kreis und Jahr wurde auf Grundlage der Honorarabrechnungsdaten der KVB gezählt.

  2. Die Anzahl der GKV-Versicherten je Kreis und Jahr wurde auf Grundlage der Anzahl an beobachteten GKV-Patienten (d. h. Versicherten mit Abrechnung von Leistungen über die KVB) geschätzt. Die amtliche KM6-Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit wurde herangezogen, um eine Korrektur nach Altersgruppe und Geschlecht für Patienten ohne Arztkontakt durchzuführen.

  3. Aus 1 und 2 kann für die administrative Diabetesprävalenz unter GKV-Versicherten je Kreis und Jahr geschätzt werden.

  4. Unter der Annahme, dass die Diabetesprävalenz der Nicht-GKV-Patienten in einem Kreis mit der Diabetesprävalenz der GKV-Patienten vergleichbar ist, wurde unter Verwendung der Einwohnerstatistik die erwartete Anzahl an Diabetespatienten im Kreis ermittelt. Diese Zahl ermöglicht die Berechnung der Amputationsrate unter Diabetespatienten.

Dieses Verfahren ist zwar komplex, ermöglicht es jedoch, die Amputationshäufigkeit der Diabetespatienten in einer sinnvollen Relation zu der regional unterschiedlichen Morbidität zu setzen. Die Plausibilität der Ergebnisse wird durch den Vergleich mit der Rate in der Gesamtbevölkerung und mit externen Datenquellen geprüft.

9.3 Statistische Analyse

Die oben beschriebenen Datensätze werden im Rahmen einer explorativen Analyse deskriptiv ausgewertet. Ziel ist es, die Amputationsraten zu schätzen und die wichtigsten Ergebnisse heraus zu arbeiten. Auf diese Weise soll eine Grundlage für die Diskussion entstehen (zum Beispiel für die Nutzung in Qualitätszirkel) und Hypothesen für die weitere Forschung generiert werden. Eine Eklärung oder Bewertung der eventuell vorhandenen regionalen Unterschiede ist nicht Bestandteil dieser Untersuchung.

9.4 Ergebnisse

9.4.1 DMP-Dokumentationsdaten

Die anhand der DMP-Dokumentationsdaten berechneten Amputationshäufigkeiten und -raten für die Jahre 2005 bis 2016 sind in Tabelle 9.1 dargestellt. Bis 2007 lag die Amputationsrate bei über 500 Patienten je 100.000 Teilnehmer am DMP Diabetes mellitus Typ 2. Die Rate im Jahr 2008 ist auffällig hoch und möglicherweise ein Artefakt der im Juli 2008 angepassten Dokumentation (z. B. als Folge der erneuten Dokumentation von alten Amputationen). Seitdem ist die Rate kontinuierlich gesunken, sodass sie im Jahr 2016 bei ca. 300 Patienten je 100.000 DMP-Teilnehmer betrug.

Tabelle 9.1: Amputationen unter Patienten mit Teilnahme am DMP Diabetes mellitus Typ 2 im Zeitraum 2005 bis 2016.
Jahr Anzahl Patienten Anzahl Amputationen Amputationen je 100.000 Patienten
2005 270.520 1.498 553,7
2006 316.247 1.700 537,6
2007 378.769 1.966 519,0
2008 432.014 2.783 644,2
2009 471.718 2.290 485,5
2010 502.347 2.230 443,9
2011 528.351 2.250 425,9
2012 551.856 2.040 369,7
2013 560.726 1.941 346,2
2014 569.501 1.849 324,7
2015 575.555 1.838 319,3
2016 580.636 1.701 293,0

Abbildung 9.1 teilt die Amputationsrate nach Altersgruppe, Geschlecht und nach Art der antidiabetischen Therapie auf. Eine Abnahme der Amputationsrate ist in sämtlichen Patientengruppen zu beobachten. Die Grafik macht jedoch auch deutlich, dass ein zunehmendes Patientenalter und das männliche Geschlecht konsistent mit einer höheren Amputationsrate assoziiert sind. Vor allem bei Patienten mit Insulintherapie (ca. ein Viertel aller Patienten im DMP Diabetes mellitus Typ 2) ist eine sehr hoher Amputationsquote von jährlich ein bis zwei Prozent der Patienten festzustellen.

__Amputationsrate unter Patienten mit Teilnahme am DMP Diabetes mellitus Typ 2 im Zeitraum 2005 bis 2016,__ unterteilt nach Art der antidiabetischen Therapie (Spalten) und nach Altersgruppe (Zeilen).

Abbildung 9.1: Amputationsrate unter Patienten mit Teilnahme am DMP Diabetes mellitus Typ 2 im Zeitraum 2005 bis 2016, unterteilt nach Art der antidiabetischen Therapie (Spalten) und nach Altersgruppe (Zeilen).

Periphere Durchblutungsstörungen (d. h. die periphere arterielle Verschlusskrankheit, pAVK) gelten als bedeutsame Risikofaktoren für das diabetische Fußsyndrom und somit auch für eine Amputation. Abbildung 9.2 stellt für diese Risikogruppe die Amputationsrate nach Altersgruppe und Geschlecht dar.4 Die Rate liegt stets bei über 1.000 Patienten je 100.000 (d. h. 1 %), mindestens drei mal höher als der DMP-Durchschnitt. Das männliche Geschlecht ist als zusätzlicher Risikofaktor zu identifizieren. In den letzten Jahren ist ein erheblicher Rückgang bei der Amputationshäufigkeit unter Patienten mit pAVK zu verzeichnen: Lag die Rate im Jahr 2009 unter Männern bei etwa 4.000 und unter Frauen bei 2.000, so lag sie im Jahr 2016 bei 2.000 bzw. 1.000.

__Amputationsrate unter Patienten mit Teilnahme am DMP Diabetes mellitus Typ 2 und Dokumentation der Begleiterkrankung pAVK__ im Zeitraum 2005 bis 2016, unterteilt nach Altersgruppe.

Abbildung 9.2: Amputationsrate unter Patienten mit Teilnahme am DMP Diabetes mellitus Typ 2 und Dokumentation der Begleiterkrankung pAVK im Zeitraum 2005 bis 2016, unterteilt nach Altersgruppe.

9.4.2 Krankenhausstatistik auf Bayernebene

Tabelle 9.2 sowie die Abbildungen 9.3 und 9.4 zeigen die allgemeine Entwicklung der Amputationshäufigkeit in Bayern.

Betrachtet man zunächst die absolute Häufigkeit der Prozeduren, so ist zwischen 2005 und 2015 eine deutliche Abnahme der Häufigkeit von Majoramputationen zu verzeichnen. Wurde diese im Jahr 2005 bei knapp 2.000 Diabetespatienten in Bayern durchgeführt, so liegt die Zahl im Jahr 2015 bei 1.301, eine Reduktion von 35 %. Die Schätzung auf Grundlage der KVB-Abrechnungsdaten ergibt jedoch, dass die Anzahl der Diabetespatienten in Bayern von ca. 710.000 im Jahr 2005 auf ca. 1 Millionen im Jahr 2015 gestiegen ist. Demnach ist Diabetesprävalenz um etwa 40 % gestiegen. Berücksichtigt man diese Vermehrung der Patienten unter Risiko, so ist eine Senkung der Amputationsrate von 278 Diabetespatienten je 100.000 auf 129 je 100.0000 festzustellen (d. h. knapp 54 %).

Die Entwicklung der Minoramputationen zeigt ein komplexeres Bild auf. Im Beobachtungszeitraum ist die Häufigkeit der Prozedur unter Diabetespatienten von jährlich knapp 4.200 auf knapp 5.200 gestiegen (eine Zunahme von 24 %). Unter Berücksichtigung der gestiegenen Diabetesprävalenz ist dagegen eine Senkung der Rate von 590 je 100.000 auf 516 je 100.000 zu verzeichnen (eine Abnahme von 13 %).

Insgesamt waren im Jahr 2015 64 % aller Amputationen mit einer Haupt- oder Nebendiagnose Diabetes kodiert. Diese Quote ist bei den Majoramputationen etwas geringer (2015: 51 %) und bei den Minoramputationen höher (2015: 69 %). Dieses Verhältnis ist seit 2005 leicht rückgängig, was auf eine Senkung der diabetesbedingten Amputationen hindeutet.

Tabelle 9.2: Amputationshäufigkeit in Bayern in den Jahren 2005 und 2015 unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung und Patieten mit einer bekannten Diabeteserkrankung.
Jahr Prozedur N (insgesamt) je 100.000 N (Diabetes) je 100.000
2005 Majoramputation 3.544 28,4 1.974 277,8
Minoramputation 6.031 48,4 4.197 590,6
Minor- und/oder Majoramputation 8.929 71,6 5.675 798,6
2015 Majoramputation 2.538 19,8 1.301 129,1
Minoramputation 7.545 58,7 5.196 515,6
Minor- und/oder Majoramputation 9.689 75,4 6.209 616,1
Anzahl der abgerechneten Amputationen in Bayern in den Jahren 2005 bis 2015, unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung (gestrichelte Linie) und Patienten mit einer bekannten Diabeteserkrankung (durchgezogene Linie).

Abbildung 9.3: Anzahl der abgerechneten Amputationen in Bayern in den Jahren 2005 bis 2015, unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung (gestrichelte Linie) und Patienten mit einer bekannten Diabeteserkrankung (durchgezogene Linie).

Amputationsrate in Bayern in den Jahren 2005 bis 2015, unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung (gestrichelte Linie) und Patienten mit einer bekannten Diabeteserkrankung (durchgezogene Linie).

Abbildung 9.4: Amputationsrate in Bayern in den Jahren 2005 bis 2015, unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung (gestrichelte Linie) und Patienten mit einer bekannten Diabeteserkrankung (durchgezogene Linie).

9.4.3 Krankenhausstatistik auf Kreisebene

Abbildung 9.5 stellt die Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes mellitus in den bayerischen Kreisen dar. Jede Zeile beinhaltet die Ergebnisse eines einzelnen Kreises: Ein blauer Punkt markiert das Ergebnis für das Jahr 2005, ein rotes Quadrat das Ergebnis für 2015. Die Ergebnisse der Zwischenjahre sind durch schwache blaue Kreise gezeichnet, um die zeitliche Variabilität darzustellen, ohne den Vergleich der Jahre 2005 und 2015 unnötig zu erschweren. Aus der Abbildung wird deutlich, wie seit 2005 die Rate an Majoramputationen in fast jedem Kreis deutlich gesunken ist (d. h. das rote Quadrat steht links vom blauen Kreis). Die Entwicklung bei den Minoramputation ist dagegen sehr uneinheitlich: Teilweise ist eine deutliche Senkung zu beobachten, teilweise eine Zunahme und teilweise keine eindeutige Entwicklung. Darüber hinaus weisen die Minoramputationen eine große regionale Variation auf, die nicht lediglich als Folge der jährlichen Schwankungen der Amputationsrate zu erklären ist.

Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes mellitus in den bayerischen Kreisen. Die Ergebnisse für die Jahre 2005 (blauer Punkt) und 2015 (rotes Quadrat) sind hervorgehoben. Die Ergebnisse für die Jahre 2006 bis 2014 sind im Hintergrund schwach gekennzeichnet, um die Variabilität darzustellen und die Entwicklung in einen zeitlichen Kontext zu bringen.

Abbildung 9.5: Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes mellitus in den bayerischen Kreisen. Die Ergebnisse für die Jahre 2005 (blauer Punkt) und 2015 (rotes Quadrat) sind hervorgehoben. Die Ergebnisse für die Jahre 2006 bis 2014 sind im Hintergrund schwach gekennzeichnet, um die Variabilität darzustellen und die Entwicklung in einen zeitlichen Kontext zu bringen.

Abbildung 9.6 stellt für das Jahr 2015 die Rate der Majoramputationen (y-Achse) der Rate der Minoramputationen (x-Achse) gegenüber. Eine leichte Korrelation zwischen den Prozeduren ist erkennbar: Kreise mit einer hohen Rate an Minoramputationen haben tendenziell eine hohe Rate an Majoramputationen. Es existieren jedoch auch Kreise, in denen nur die Rate an Majoramputationen (insbesondere Schweinfurt, Hof, Coburg und Ansbach) oder nur die Rate an Minoramputationen (Tirschenreuth, Neustadt a.d. Waldnaab, Weiden i.d. Oberpfalz) auffällig hoch ist.

Assoziation zwischen der Rate an Minoramputationenn und der Rate an Majoramputationen für das Jahr 2015.

Abbildung 9.6: Assoziation zwischen der Rate an Minoramputationenn und der Rate an Majoramputationen für das Jahr 2015.

Abbildung 9.7 zeigt Bayernkarte für die Rate an Major- und Minoramputationen. Die Amputationsrate ist in Nord- und Ostbayern sowie an der Grenze zu Österreich tendenziell überdurchschnittlich und vor allem in München und Umgebung geringer. Der regionale Muster ist signifikant (Moran’s \(I = 0,33\), \(p < 0,001\)).

Bayernkarten für die Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes auf Kreiseebene im Jahr 2015.

Abbildung 9.7: Bayernkarten für die Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes auf Kreiseebene im Jahr 2015.

Abbildung 9.8 untersucht für das Jahr 2015 eine mögliche Assoziation zwischen der Amputationsrate und dem Zugang zu einer spezialisierten Diabetesversorgung. Als Maß für den Zugang wird die im Qualitätsbericht 2013 vorgestellte Statistik verwendet, welche sowohl die Entfernung zur nächsten diabetologischen Schwerpunktpraxis als auch die Einwohnerzahl berücksichtigt. Die Rate an Minoramputationen ist in Kreisen mit gutem Zugang etwas geringer (\(p = 0.015\)), die Rate an Majoramputationen jedoch nicht (\(p = 0.670\)). Die Abbildung macht jedoch deutlich, dass der relativ Zugang auf Kreisebene in Bayern nur eine untergeordnete Rolle in der Erklärung der Amputationsrate spielt.

Assoziation zwischen der Amputationsrate unter Diabetespatienten im Jahr 2013 und dem Zugang zu einer diabetologischen Schwerpunktpraxis.

Abbildung 9.8: Assoziation zwischen der Amputationsrate unter Diabetespatienten im Jahr 2013 und dem Zugang zu einer diabetologischen Schwerpunktpraxis.

9.5 Diskussion

Die vorliegende Analyse auf Grundlage von zwei unabhängigen Datenquellen zeigt zum ersten Mal ein Bild über die Entwicklung der Amputationsrate unter Diabetespatienten in Bayern seit 2005 auf. Die zwei wichtigsten Ergebnisse sind eine regional einheitliche Senkung der Rate an Majoramputationen sowie eine regional sehr unterschiedliche Entwicklung der Rate an Minoramputationen.

Eine ähnliche Studie von Kröger und Kollegen untersuchte auf Grundlage eines sehr ähnlichen Datensatzes die Amputationsrate in Deutschland zwischen 2004 und 2014 [37]. Diese Daten bezogen sich nicht auf Patienten mit der Haupt- oder Nebendiagnose Diabetes, wurden jedoch nach dem Alter des Patienten adjustiert. Die Studie identifizierte eine Reduktion der Majoramputationen altersadjustiert um 31 % und eine Zunahme der Minoramputationen um 25 %. Diese Ergebnisse sind mit der vorliegende Entwicklung der absoluten Häufigkeiten unter Patienten mit Diabetes vergleichbar. Die Daten der KVB ergeben jedoch, dass die Anzahl der Diabetespatienten seit 2005 um ca. 40 % gestiegen ist, was zu einer Revision der Aussage führt: Aus eine Steigerung der Amputationsrate von 25 % wird eine Senkung der Amputationsrate von 13 %. Eine unabhängige Analyse auf Basis von Daten der AOK Bayern ergab in ähnlicher Weise eine Reduktion der Amputationsrate um 24 % zwischen 2006 und 2012 [38].

Während die Senkung der Rate an Majoramputationen in fast jedem Kreis als positives Ereignis bewertet werden kann, deutet die Analyse der Minoramputationen möglicherweise auf eine ungerechtfertigte regionale Variation hin. Abgesehen von der Frage, ob die Rate insgesamt steigt oder sinkt, steht fest, dass die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte sehr unterschiedliche Entwicklungen aufweisen. Zum einen variiert das absolute Niveau sehr stark: Während in einigen Kreisen eine Rate von 250 bis 500 Amputationen je 100.000 Menschen mit Diabetes erreicht wird, liegt die Quote in anderen Kreisen bei über 1.000 Amputationen je 100.000 Menschen mit Diabetes. Zum anderen ist in einigen Kreisen eine systematische Senkung der Rate zu beobachten, während in anderen Kreisen teilweise erhebliche Steigerungen vorhanden sind. Diese regionalen Unterschiede können weder durch die Diabetesprävalenz noch durch die jährlichen Zufallsschwankungen erklärt werden. Die Erklärung dieser regionalen Unterschiede hat somit eine hohe Bedeutung für die Verbesserung der Diabetesversorgung in Bayern.

Unterschiedliche Datenquellen und Schätzmethoden führen zu einem unterschiedlichen Niveau für die Amputationsrate unter Diabetespatienten. Für das Jahr 2012 beträgt die Rate entweder 370, 415 oder 620 Patienten je 100.000 Diabetespatienten, je nachdem, ob die DMP-Dokumentationen, die im Bayerischen Diabetesbericht zitierten Daten der AOK Bayern oder die oben beschriebene Schätzung auf Grundlage der Krankenhausstatistik zugrunde gelegt werden. Diese Zahlen sind jedoch keineswegs widersprüchlich, da sie unterschiedliche Patientenkollektive umfassen. Sie deuten aber auf eine hohe Unsicherheit der vorhandenen Daten hin [39]. Sämtliche Schätzungen liegen jedoch deutlich oberhalb der Referenzwerte aus anderen europäischen Ländern [37].

Auf Kreisebene besteht lediglich eine schwache Korrelation zwischen der Amputationsrate und dem Zugang zu einer diabetologischen Schwerpunktpraxis, was auch als Folge einer größtenteils flächendeckenden Versorgung betrachtet werden könnte. In einzelnen Landkreisen könnte es jedoch sinnvoll sein, den Bedarf an neuen Schwerpunktpraxen zu prüfen. Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass das diabetische Fußsyndrom frühzeitig erkannt und eine spezialisierte Behandlung eingeleitet wird. Aufgabe der Gemeinsamen Einrichtung DMP Bayern ist es, dieses DMP-Ziel durch die Unterstützung der koordinierenden Hausärzte zu fördern. Weitere Forschung ist notwendig, um die Behandlungspfade von Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom unter Berücksichtigung des lokalen Zugangs zu einer spezialisierten Versorgung zu untersuchen.

Die auf Grundlage der DMP-Dokumentation ermittelte Amputationshäufigkeit ist deutlich geringer als erwartet. Ausgehend von einem GKV-Anteil von 85 %, einer DMP-Teilnahmequote von 62 % und 6.201 diabetesbedingten Amputationspatienten in Bayern wäre auf Grundlage der Krankenhausstatistik eine Größenordnung von \(6.201 \times 0,85 \times 0,62 = 3.268\) Patienten mit Amputation im Jahr 2015 zu erwarten. Die DMP-Dokumentation erfasst nur 1.838 Patienten mit Amputation und entspricht so 56 % der erwarteten Häufigkeit. Neben den unten beschriebenen Aspekten der Datenqualität erscheint es plausibel, dass die Amputationsrate unter Patienten im DMP tatsächlich geringer als die Amputationsrate unter Patienten in der Regelversorgung ist. Nicht zuletzt setzt die Teilnahme am DMP sowohl das Mitwirken des Patienten als auch eine regelmäßige Betreuung voraus, was Selektionseffekte als Folge hat (vgl. Qualitätsbericht 2013). Darüber hinaus zielen die qualitätssichernden Maßnahmen der Gemeinsamen Einrichtung (arztbezogen) und der Krankenkassen (patientenbezogen) auf die Vorbeugung der Amputation ab. Ein mögliches Unterreporting ist aufgrund der besonderen Datenerhebung im DMP denkbar, auch wenn die Ergebnisse in sich nicht unplausibel erscheinen.

9.5.1 Limitationen der verwendeten Datenquellen

Die DMP-Dokumentationsdaten und die Krankenhausstatistik haben unterschiedliche Eigenschaften, die bei der Interpretation der jeweiligen Analysen zu berücksichtigen sind. Die DMP-Dokumentationsdaten beschreiben eine gut definierte Patientengruppe, die ca. 62 % aller Diabetespatienten in Bayern umfasst. Die diabetesbedingten Ereignisse werden vom koordinierenden DMP-Arzt dokumentiert, unabhängig von der Krankenhausabrechnung. Wird der Patient nach einer Amputation nicht mehr dokumentiert (z. B. aufgrund von Tod oder einer auftretenden Pflegebedürftigkeit), wird dieser nicht erfasst. Es wird nicht zwischen Major- und Minoramputation unterschieden und wiederholte Amputationen bei einem Patienten sind nicht von Dokumentationsfehlern (d. h. die wiederholte Dokumentation einer einmaligen Amputation als “Zustand”) zu unterscheiden.

Die Krankenhausstatistik liefert objektive Daten über die Amputationshäufigkeit in Bayern. Sie umfasst aber auch Patienten außerhalb des GKV-Systems und die vorliegende Aggregation beinhaltet keine Unterteilung nach Altersgruppe. Die Schätzung der Amputationsrate unter Menschen mit Diabetes basiert auf Annahmen und ist naturgemäß ungenau. Die zugrunde liegende administrative Diabetesprävalenz könnte zum Beispiel durch eine geänderte ärztliche Praxis (z. B. ein intensiveres Diabetes-Screening oder ein genaueres Kodierverhalten) beeinflusst werden, die auch regionale Unterschiede erklären könnte. Ambulant durchgeführte Amputationen sind nicht berücksichtigt, umfassen jedoch nur ca. 3 % der stationär durchgeführten Minoramputationen (Quelle: KVB Abrechnungsdaten).

Trotz dieser Limitationen, die bei solchen Analysen keinesfalls ungewöhnlich sind, liefert die Kombination aus zwei Analysen mit drei Datenquellen wichtige und verlässliche Erkenntnisse über die Diabetesprävalenz in Bayern. Insbesondere gelten die Ergebnisse auf Grundlage der DMP-Daten als plausibel, was deren Nutzung im Rahmen von weiteren qualitätssichernden Maßnahmen rechtfertigt.

Literatur

33 Weck M, Slesaczeck T, Paetzold H, Muench D, Nanning T, Gagern G von, Brechow A, Dietrich U, Holfert M, Bornstein S, Barthel A, Thomas A, Koehler C, Hanefeld M. Structured health care for subjects with diabetic foot ulcers results in a reduction of major amputation rates. Cardiovascular Diabetology 2013; 12: 45 https://doi.org/10.1186/1475-2840-12-45

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24 Groos S, Kretschmann J, Macare C, Weber A, Hagen B. Qualitätssicherungsbericht 2016 Disease-Management-Programme in Nordrhein. Düsseldorf: Nordrheinische Gemeinsame Einrichtung, 2017 https://www.kvno.de/downloads/quali/qualbe_dmp16.pdf

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39 Carinci F, Massi Benedetti M, Klazinga N, Uccioli L. Lower extremity amputation rates in people with diabetes as an indicator of health systems performance. A critical appraisal of the data collection 2000–2011 by the Organization for Economic Cooperation and Development (OECD). Acta Diabetol 2016; https://dx.doi.org/10.1007/s00592-016-0879-4


  1. Aufgrund der im Jahr 2008 geänderten Dokumentation ist eine einheitliche Beobachtung erst ab 2009 möglich.